Was für alle Unterrichtsfächer und auch generell für alle Lebenslagen gilt, ist besonders im Fremdsprachenunterricht das A und O: die Binnendifferenzierung. Es ist wohl für niemanden eine Neuigkeit, dass Homogenität im Klassenzimmer im Normalfall eher nicht vorherrscht. Und das ist auch gut so, denn eine Gemeinschaft lebt von vielen unterschiedlichen Individuen, Hintergründen, Lebenserfahrungen. Die Digitalisierung gibt uns Lehrer*innen nun erstmalig die Möglichkeit, all unseren Schüler*innen gleichzeitig individuelle Lernangebote zur Verfügung zu stellen, ohne stundenlang Stationenlernen vorbereiten oder uns im Klassenraum in zwei (oder eher zwanzig) Teile teilen zu müssen.

Kaum ein*e Lehrer*in dürfte in der Lage sein, für jede*n seiner Schüler*innen eindeutig sagen zu können, auf welche Art und Weise er oder sie lernen sollte. Und seien wir mal ehrlich: Das wäre auch ziemlich anmaßend, denn gerade mit steigendem Alter wissen die Lerner*innen meist am besten, wie sie am effektivsten lernen. Du schüttelst jetzt den Kopf, weil du dem nicht zustimmen kannst? Gut, dann ist es aber zumindest deine Aufgabe als Lernbegleiter*in, deinen Schüler*innen verschiedene Möglichkeiten aufzuzeigen, wie sich für sich selbst den passendsten Weg herausfinden können.

Dass die Zuordnung von Lerntypen nur in den seltensten Fällen eindimensional geschehen kann, sondern immer mehrere Dimensionen im Spiel sind, ist auch keine Neuigkeit. Relativ neu ist aber, dass wir mittlerweile neue Technologien zur Verfügung haben, die uns dabei helfen kann, unseren Schüler*innen ein individuelles Lernangebot zu machen. Ganz gleich, ob sie besser auditiv, visuell, auditiv-visuell oder wie auch immer lernen. So müssen wir nicht mehr unzählige Methoden in unseren Unterricht einbauen und hoffen, dass für jede*n das Passende dabei ist. Vielmehr können wir uns bei entsprechender technischer Ausstattung nahezu komplett vom lehrerzentrierten Unterricht verabschieden – und die Schüler*innen im Sinne von eigenverantwortlichem Lernen zumindest phasenweise selbst entscheiden lassen, mit welchem Thema sie sich näher auseinandersetzen wollen oder an welcher Stelle vielleicht noch Wiederholungsbedarf besteht.

 

Die Digitalisierung als Chance für Binnendifferenzierung

 

Nun bin ich als Lehrerin weiterhin eine Verfechterin davon, eine erste Grammatikeinführung lehrerzentriert zu gestalten. Das liegt unter anderem auch daran, dass meine Schüler*innen dies meist sogar einfordern – denn nicht nur bei Lehrer*innen hat sich in den letzten Jahrhunderten das Bild der allwissenden Lehrkraft, deren Job die reine Weitergabe des Wissen ist, festgesetzt. Ich bin überzeugt davon, dass sich dieses Bild in den nächsten Jahren verändern wird. Nämlich spätestens dann, wenn Lerner*innen eigene Strategien entwickelt haben, wie sie ein bestimmtes Lernziel erreichen können, und die Lehrkraft als Unterstützung auf ihrem individuellen Weg sehen. Natürlich werden wir uns in Zukunft auch überlegen müssen, wie wir Leistungen überprüfen wollen oder können, denn wenn wir den Schüler*innen letztendlich doch wieder ein so konkretes Lernziel wie das inhaltliche Verständnis eines bestimmten Romans oder die fehlerfreie Beherrschung einer komplexen grammatischen Struktur vorgeben, greifen wir so oder so auch wieder in den Lernprozess ein.

Dabei geht es gar nicht um offizielle Prüfungen, die uns gemäß des Gemeinsamen europäischen Referenzrahmens für Sprachen einstufen. Diese halte ich nämlich für ziemlich sinnvoll, um später auf dem Arbeitsmarkt zumindest ein bisschen Vergleichbarkeit gewährleisten zu können. Mir geht es an dieser Steller eher ganz konkret um das Lernen an öffentlichen Schulen. Das Ziel im fremdsprachlichen Unterricht sollte es meiner Meinung nach nicht sein, eine Textanalyse schreiben, sondern sich in Alltagssituationen zurechtfinden zu können. Als ich im Alter von siebzehn Jahren zum ersten Mal in Frankreich war, habe ich während meines dreiwöchigen Praktikums mehr Sprachpraxis bekommen als in den vorangegangenen fünf Jahren Unterricht am Gymnasium. Damals konnte man daran nichts ändern. Heute kann man es aber – und ich möchte an dieser Stelle fünf Impulse für einen modernen, authentischen und motivierenden Fremdsprachenunterricht geben, die die Digitalisierung möglich macht:

 

1) Erklärfilme verwenden, empfehlen, erstellen

 

In den letzten Wochen und Monaten waren sie immer wieder in den Medien: Erklärvideos. Was für viele sicher eine Überraschung war, ist eigentlich nur eine logische Konsequenz darauf, dass das Smartphone für die meisten Jugendlichen ein unverzichtbares Allround-Talent geworden ist. Schlimm genug also, dass die meisten Schulgebäude heute eher noch einer Museumsausstellung mit dem Titel „Schule im frühen 20. Jahrhundert“ gleichen. Man kann von neuer Technologie halten, was man möchte, aber eins sollte klar sein: Solange wir die Alltagsrealität vom Unterrichtsgeschehen ausschließen, wird der Lernort Schule quasi ein Paralleluniversum zur Wirklichkeit bleiben.

Wir Erwachsenen belächeln häufig Make-Up-Tutorials oder unbeholfen wirkende Erstversuche von jungen Menschen auf YouTube. Dabei haben wir aber anscheinend lange übersehen, dass sich diese jungen Menschen auch genauso schulische Themen erschließen. Selbst ich saß schon 2012 stundenlang vor meinem Laptop und habe mir Erklärvideos von OberPrima angeschaut, um anschließend meine mündliche Mathe-Abiturprüfung zu rocken. Man kann in seinem eigenen Tempo lernen und so oft pausieren oder von vorne anfangen, wie man möchte – etwas, was eine einzelne Lehrkraft schlicht und einfach nicht für eine ganze Klasse gleichzeitig leisten kann.

Mein Tipp also für alle, die es noch nicht ausprobiert haben: selbst kurze Erklärfilme drehen oder auf YouTube nach hochwertigen Alternativen suchen – und anschließend seinen Schüler*innen genug Zeit geben, sich die Inhalte selbst zu erschließen. Im Optimalfall natürlich während der Unterrichtszeit, um ganz sicher zu gehen, dass sich auch wirklich alle damit beschäftigt haben. Zur Vertiefung als (freiwillige) Hausaufgabe kann man dann ja immer noch eine kleine Liste mit Video-Empfehlungen parat haben. Übrigens: Noch cooler finden es die meisten Schüler*innen, wenn sie ein Thema selbst erarbeiten und anschließend selbstständig Erklärvideos drehen sollen. Diese kann man dann beispielsweise auch mit Parallelklassen austauschen, sodass nicht alle alles machen müssen.

 

2) Selbstlernangebote etablieren

 

„Bearbeitet mal bitte die ersten beiden Aufgaben. Ich denke, fünfzehn Minuten sollten dafür reichen“, ist im Kern etwa die Arbeitsanweisung, die ich während meiner eigenen Schulzeit am öftesten gehört habe. Und ich will mich da ja auch gar nicht ausnehmen, denn seit ich selbst unterrichte, vergeht auch bei mir kaum eine Unterrichtsstunde im Gruppenkurs, in der ich nicht etwas Ähnliches sage. Das ist per se ja auch nicht so schlimm, aber meistens gibt es ein Problem: Die ersten Schüler*innen sind schon nach fünf Minuten fertig, andere hätten gut eine halbe Stunde gebrauchen können.

Und so hangelt man sich mit Ideen wie „Wer schon fertig ist, kann ja seinem Sitznachbarn helfen“ oder „Wir warten dann noch kurz auf die anderen“ von Minute zu Minute. Leider häufig frustrierend für die schnellen Schüler*innen, die in der Zeit nur Däumchen drehen können – und auch für die, die die Aufgabe gerne allein lösen möchten, aber schlicht und ergreifend mehr Zeit dafür benötigen, weil sie beispielsweise noch einmal die entsprechende Grammatik nachschlagen müssen.

Praktisch also, wenn jede*r Schüler*in Aufgaben vorliegen hat, die seinem beziehungsweise ihrem Lernstand entsprechen, und die man auch zwischendurch schnell lösen kann. Speziell für den DaF-/DaZ-Unterricht haben wir aus genau diesem Grund Deutschfuchs  entwickelt – und ich hoffe, dass es bald auch ähnliche Angebote für andere Sprachen geben wird. Während reine Selbstlernangebote wie Babbel, Duolingo und Co. leider weder alle grammatischen Hintergründe liefern noch kommunikative Übungen zum gemeinschaftlichen Lernen im Angebot haben, bieten Programme oder Apps, die speziell für den Unterricht entwickelt wurden, ein komplexes Netz aus Möglichkeiten für den Klassenraum.

 

3) Skype und Co. nutzen, um die Welt kennenzulernen

 

Brieffreundschaften waren schon immer spannend, wenn man eine Fremdsprache lernen wollte. Aber in der Zeit, in der so ein Brief durch die Weltgeschichte tingelt, können sich Schüler*innen aus aller Welt per E-Mail oder sogar per Messenger direkt mehrere Texte, Fotos, Sprachnachrichten oder auch kurze Videos schicken. Oder sie können beispielsweise auch füreinander, und da schließt sich auch direkt wieder der Kreis zu Punkt Nummer 1, Erklärfilme erstellen. Die Digitalisierung macht hier so viel möglich, um einen unmittelbaren Einblick in das Land der Zielsprache zu bekommen.

Eines der besten Beispiele sind in diesem Zusammenhang Videochats. Ganz egal, ob über Skype, Facetime, Facebook oder was auch immer: Die Schüler*innen haben so die Möglichkeit, sich wirklich live mit einer Person aus einem entsprechenden Land zu unterhalten. In diversen Facebook-Gruppen oder Foren finden sich zahlreiche engagierte Lehrkräfte aus der ganzen Welt, die gemeinsam ein solches Projekt auf die Beine stellen und die Gespräche ihrer Schüler*innen durch passende Arbeitsaufträge ein wenig in die richtige Richtung lenken: „Suche 20 Schüler*innen, die in Deutschland Französisch lernen – biete 20 Schüler*innen, die in Frankreich Deutsch lernen“ quasi.

 

4) veraltete Hilfsmittel ersetzen

 

Viele Hilfsmittel, die in den meisten Klassenzimmern stehen, sind nicht mehr wirklich zeitgemäß und setzen entweder Staub an oder werden wenig begeistert benutzt – kein Wunder! Ich sage gar nicht, dass wir Wörterbücher, Landkarten, Atlanten oder den guten alten Globus jetzt komplett aus der Schule verbannen sollen. Sicher eignen sie sich weiterhin hervorragend, um das Prinzip der alphabetischen Sortierung zu verstehen oder Maßstäbe kennenzulernen. Aber: Wenn das erst einmal verstanden ist, benutzt im digitalen Zeitalter kaum noch jemand sperrige Gegenstände, wenn das Smartphone oder das Tablet die gleichen Dinge in Sekundenschnelle auf den Bildschirm zaubert.

Warum erst das oft einzige Wörterbuch aus dem Regal holen und in einer Minute nachschlagen, wenn ein Online-Wörterbuch die gleiche Antwort in zehn Sekunden liefert? Warum immer alles auf einem echten Globus anschauen, wenn sogar Google Maps die Karte beim Rauszoomen mittlerweile schon in Erdkugelform präsentiert? Ein viel zu schnell veraltetes Lexikon in gedruckter Form wird schließlich auch schon seit Jahren nicht mehr wirklich genutzt. Der Mensch strebt nun einmal danach, seine Zeit sinnvoll zu nutzen und Prozesse zu optimieren. Davor kann man entweder die Augen verschließen, oder aber man geht mit der Zeit, sieht diese Tatsache als etwas Positives und schaut, wie man die so gewonnene Zeit mit etwas Schönem füllen kann.

 

5) authentische Recherchen auf echten Internetseiten

 

Während Lehrbücher authentische Quellen immer so schön didaktisch aufbereiten, dass sie letztendlich oft doch nicht mehr so authentisch sind, schadet es auch nicht, seine Schüler*innen ab und an ins kalte Wasser zu werfen. Sofern im Vorfeld geklärt wird, wonach sie konkret suchen und welche Fragen beantwortet werden sollen, finden sie (vor allem in Partner- oder Kleingruppenarbeit) dabei meistens ihren eigenen Weg und sind anschließend unglaublich stolz, wenn sie wirklich einmal eine komplett echte Quelle durchforstet haben.

Das kann im DaF-/DaZ-Unterricht beispielsweise ein fiktives Telefongespräch auf Grundlage einer wirklich existierenden Lieferservice-App sein oder die konkrete Suche nach einem passenden Hostelzimmer anhand von vorgegebenen Suchkriterien beziehungsweise Bedingungen. Oder: Hast du deine Schüler*innen schon mal eine fiktive E-Mail als Bewerbung auf ein echtes Mitbewohner-Gesuch schreiben lassen? Auch hier sind die Möglichkeiten schier endlos.

Zum Thema „Chancen der Digitalisierung in der Schule“ (und speziell im Fremdsprachenunterricht) könnte ich noch ewig weiterschreiben. Da ich allerdings schon bei 1700 Wörtern angekommen bin, werde ich die einzelnen Punkte in der nächsten Zeit noch einmal in separaten Blogartikeln mit mehr Leben und konkreten Unterrichtsbeispielen füllen. Vielleicht hast du viele meiner Ideen auch schon ausprobiert und konntest für dich nichts Neues entdecken. Ich hoffe aber, dass ich dem*der ein oder anderen Kolleg*in ein paar neue Ideen mit auf den Weg geben konnte.

 

Welche Chancen siehst du in der Digitalisierung in der Schule?


Bildnachweis:

(1) Adobe Stock – Africa Studio
(2) Adobe Stock – Africa Studio
(3) Adobe Stock – DragonImages
(4) Adobe Stock – georgerudy