Dass die Angst, Roboter könnten in deutschen Klassenzimmern bald die Lehrer*innen ersetzen, längst vom Tisch ist – davon war ich bis vor ein paar Tagen noch felsenfest überzeugt. Ebenso davon, dass wir gar nicht mehr darüber reden müssen, OB die Digitalisierung an Schulen stattfinden soll – sondern nur noch darüber, WIE wir das Ganze sinnvoll, sicher und gewinnbringend gestalten können. Der digitalkritische Eröffnungsvortrag von Prof. Dr. Gerald Lembke (auf einer Konferenz zur digitalen Bildung) hat mich vergangene Woche mit seiner extremen Schwarz-Weiß-Polemik allerdings noch einmal ins digitale Steinzeitalter zurückbefördert.

Nun gehöre ich mit meinen sechsundzwanzig Jahren vermutlich genau zu der Altersgruppe, die Prof. Dr. Lembke meint, wenn er von seinen Student*innen spricht, die immer häufiger desinteressiert, angepasst, wenig ehrgeizig oder mit einfachen Alltagssituationen überfordert seien. Ich kenne viele Gleichaltrige, auf die diese Beschreibung ziemlich gut passen würde. Ich kenne aber auch viele Gleichaltrige, die hart für ihre Ziele und Träume arbeiten, vor Begeisterung sprühen, Werte und Normen hinterfragen. Ich sehe mich selbst als gesellschaftskritischen Menschen. In den letzten Jahren habe ich mit einigen Konventionen gebrochen und den Mut aufgebracht, meinen eigenen Weg zu gehen.

Das hat mich letztendlich dazu verleitet, mir trotz (oder gerade wegen) meiner Empörung über einige von Prof. Dr. Lembkes Thesen einmal die Leseproben seiner Bücher anzusehen. Und was soll ich sagen? Ich vermute, mit einigen seiner gesellschaftskritischen Argumente bin ich sogar d‘accord. Aber: Für grundlegende Systemprobleme, die es nicht erst seit heute gibt, kann man nicht einer Digitalisierung, die gerade erst Fahrt aufnimmt, die Schuld in die Schuhe schieben. Eine „[v]erzockte Zukunft“, so der Titel seines neuesten Buches, handeln wir uns nicht durch den reinen Gebrauch von moderner Technologie ein, sondern mit der Abschaltung unserer Gehirne. Und deshalb brauchen wir einen achtsamen Umgang mit ebendieser Technologie – und vor allem mit uns selbst.

 

Der Wunsch nach Digitalisierung – ein Produkt von Gehirnwäsche?

 

Prof. Dr. Lembke hat in seinem Vortrag wörtlich gesagt, die Politik, Lobby und Digitalwirtschaft rede uns die Digitalisierung nur ein, denn in Wirklichkeit sei sie weder von Schüler*innen noch von Lehrer*innen gewollt. Selbst, wenn das tatsächlich exakt so wäre: Haben wir denn überhaupt eine Wahl? Es geht nicht um die Frage, ob wir die Digitalisierung wollen. Wir sind bereits mittendrin. Und während wir nicht darüber reden müssen, dass Deutschland im weltweiten Vergleich beispielsweise über eine hervorragende Wirtschaftsleistung oder ein insgesamt doch sehr gutes Sozialsystem verfügt, sieht es bei uns bei Themen wie „Neue Technologien“ oder „Investitionen in Innovation“ noch ziemlich mau aus. Damit wir uns nicht irgendwann in der dauerhaften Abhängigkeit von anderen Staaten wiederfinden, hilft eigentlich nur eines: Deutschland muss nachziehen. Und zwar mit eigenen (oder zumindest europäischen) Innovationen und eigenen (strengen, aber praxistauglichen) Spielregeln bezüglich Technologie und Datenschutz.

Die Frage, die sich stellt, wenn wir erst einmal akzeptiert haben, dass wir der Digitalisierung nicht einfach so entkommen können, ist für alle, die sich mit dem Thema Bildung befassen, folgende: WAS und WIE können wir so digitalisieren, dass es einen positiven Effekt auf das Heranwachsen der kommenden Generationen hat? Ich denke, wir haben in unserer schnelllebigen Welt schlicht und ergreifend nicht mehr die Zeit, das in den nächsten fünf oder zehn Jahren in Ruhe herauszufinden, indem wir es bis ins Detail erforschen oder etliche Arbeitsgemeinschaften bilden, die eventuell nur immer neue Fragen aufwerfen.

 

Digitalisierung bedeutet auch: Mut haben, einfach etwas zu wagen

 

Wie auch beim Thema Klima sollten wir vielleicht einfach an einem Strang ziehen, für eine Veränderung eintreten, Dinge ausprobieren und auch mal Fehler machen. Learning by doing. Denn wenn wir mal ganz ehrlich sind, wissen viele Lehrer*innen doch selbst am besten, was sie wie mit ihren Schüler*innen hinbekommen können. Und wo wir schon beim Thema sind: Die Mär des alles (besser-) wissenden Lehrers könnten wir bei dieser Gelegenheit doch auch endlich mal begraben, oder? In einem Zeitalter, in dem wir alle an den stetigen Veränderungen zu knabbern haben, ist es keine Schande, auch mal etwas gemeinsam und auf Augenhöhe mit seinen Schüler*innen herauszufinden!

Nichtsdestotrotz sind Slogans wie „Digital first. Bedenken second.“ von der FDP schlicht und einfach verantwortungslos. Natürlich sollten wir mit unserem gesunden Menschenverstand an die Sache herangehen und nicht blind für jeden ein Tablet kaufen, jede Klasse mit Smartboards ausstatten und alles kaufen, was uns bunt blinkend im Internet über den Bildschirm hüpft. Ich denke, man braucht nicht von Anfang an ein lückenloses Medienkonzept (mal ganz abgesehen davon, dass es in diesem Bereich auch genug Halunken gibt, die das große Geschäft mit dem Digitalpakt wittern…), sollte aber vor dem Stempeln und Unterschreiben eines jeden Kaufvertrags einige Dinge prüfen:

Brauchen wir die Geräte wirklich alle?
Gibt es nicht auch andere/günstigere/passendere Lösungen?
Ist die entsprechende Software sicher und rechtskonform?
Gibt es überhaupt sinnvolle Software für unsere Zwecke?
Unterstützen wir auf diese Weise die Lernprozesse der Schüler*innen?
Und wer kümmert sich eigentlich um die ganzen Gerätschaften?

 

Hoffentlich nicht irgendein armer Mensch, der die Arbeit von locker zwei Vollzeitangestellten dann mit 1,35 Anrechnungsstunden erledigen soll. Dass es an jeder Schule mindestens einen Hausmeister gibt, das stellt doch auch niemand infrage. Oder ist irgendeine Schule schon mal auf die Idee gekommen, jemanden mit 1,35 Anrechnungsstunden zum Verantwortlichen für verstopfte Toiletten, defekte Heizungen oder kaputte Glühbirnen zu machen? Na also. Wann gibt es endlich entsprechende Stellen für eine schuleigene IT-Abteilung?

 

Digitalisierung als Chance für individuelle Förderung

 

Nun stellt sich natürlich die Frage, wie diese Digitalisierung in Schulen denn ganz konkret aussehen könnte. Pauschal lässt sich das nicht beantworten, denn eine Grundschule muss sicherlich anders digitalisiert werden als eine weiterführende Schule, und diese anders als eine Berufsschule. Die Programme, Methoden und technischen Hilfsmittel mögen sich unterscheiden – ein ganz wichtiger Punkt ist aber für alle Schulformen gleich: Die Möglichkeit, die Digitalisierung zu nutzen, um Schüler*innen individuell zu fördern beziehungsweise auf ihre individuellen Interessen und Bedürfnisse einzugehen. Während sich bisher meist eine Lehrkraft um 20-30 Kinder oder Jugendliche gleichzeitig kümmern musste, ermöglichen es digitale Medien, verschiedene Dinge parallel laufen zu lassen und so die Binnendifferenzierung im Klassenzimmer deutlich zu vereinfachen.

Leider beschränken sich viele Studien, Arbeitsgruppen und Internetseiten auf die MINT-Fächer. Da ich selbst aus dem FSU-Bereich komme, möchte ich mich auf diesem Blog speziell mit den Möglichkeiten im fremdsprachlichen Unterricht auseinandersetzen. In meinem nächsten Artikel („Chancen der Digitalisierung im Fremdsprachenunterricht“) erörtere ich daher meine Meinung zu dem Thema und gebe Beispiele für die Unterrichtspraxis.

 

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